Von Beerdigungen ohne Umarmung und einer Geburtstagsfeier in der Trauerhalle

Während die einen gemütlich zu Hause auf dem Sofa sitzen, sind andere derzeit schwer krank. 1.495 Menschen im Landkreis Ludwigsburg sind bisher nachweislich an Covid-19 erkrankt, 47 sind gestorben (Stand: 21. April).

Darum lassen wir heute eine Bestatterin erzählen, wie Corona-Tote beerdigt werden, ob sie genug Schutzmaterial hat und welche Aufträge sie ablehnt.


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Claudia Jungeilges

hat sich vor sechs Jahren ganz bewusst entschieden, Bestatterin zu werden. Sie sagt, ihr Beruf sei einer der schönsten, die es gibt.

Ihr Unternehmen »Junge Bestattungen« sitzt in Hemmingen und ist auch in Ludwigsburg und Schwieberdingen mit eigenen Büros vertreten.

www.junge-bestattungen.de


Frau Jungeilges, wie ist aktuell die Lage bei Ihnen in der Firma?

Die Lage ist derzeit relativ entspannt. Mitte März waren wir noch sehr damit beschäftigt, Desinfektionsmittel, Schutzbekleidung für Mitarbeiter, Body-Bags usw. zu organisieren. Wir haben Stunden mit der Recherche nach Händlern verbracht, die noch liefern konnten.

Welche Hygieneregeln müssen Sie bei Covid-19-Toten beachten?

Es gibt bei jedem Verstorbenen Hygieneregeln zu beachten. Das ist nicht so neu. Und auch vor Corona gab es Verstorbene, die eine Infektion trugen. Neu ist, dass die Abholung sehr viel aufwendiger ist.

Ist das Virus auch noch nach dem Tod gefährlich?

Das COVID-19-Virus ist auch für die Wissenschaftler ein unbekannter Gegner. Es gibt keine eindeutigen Hinweise darauf, wie sich das Virus beim Verstorbenen verhält. Daher geht das RKI davon aus, dass Verstorbene am COVID-19-Virus als kontagiös, also als ansteckend, angesehen werden.

Haben Sie bereits Menschen beerdigt, die an Covid-19 gestorben sind? Wie lief das ab?

Ja, auch wir haben am COVID-19-Virus Verstorbene bestatten müssen. Für die Angehörigen ist das besonders tragisch. Sie durften den Verstorbenen im Krankenhaus nicht mehr besuchen und auch nach dessen Tod nicht mehr sehen. Ich glaube, da fehlt wirklich das Abschiednehmen. Der Verstorbene ist einfach nur weg.

Die Angehörigen befinden sich immer in einer Ausnahmesituation, wenn jemand stirbt. Aber jemanden gehen lassen zu müssen, ohne Abschied nehmen zu können, ist eine Tragödie. Kein letztes Wort, kein letzter Blick, kein letztes Streicheln.

Wir versuchen, die Angehörigen so gut es geht aufzufangen, Trauerfeiern bzw. Beerdigungen sind derzeit für alle Verstorbenen sehr eingeschränkt. Die Trauerfeier muss draußen stattfinden. Leider sind die Regelungen der Besucherzahl auf der Trauerfeier von Gemeinde zu Gemeinde unterschiedlich. Das heißt, es gab öfter mal Diskussionen, wenn bei der einen Gemeinde etwas gar nicht erlaubt war, was aber in der Nachbargemeinde ohne Probleme ging. Hier hätten wir uns mehr Einigkeit gewünscht.

Heute ist der 20. April 2020 und die Menschen sehnen die Lockerungen herbei. Schon jetzt bemerken wir, dass die Gemeinden die bisherigen Vorgaben aufheben. Gerade bei Trauerfeiern verständlich, aber eben auch gefährlich. Denn die Regelungen zum Mindestabstand, niemanden in den Arm zu nehmen usw. sind trotz guter Vorsätze der Trauergäste kaum umsetzbar. Bei Trauerfeiern bestimmen Emotionen, was man tut.

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Haben Sie genug Material, wie Schutzkleidung und Atemmasken vorrätig?

Wir haben unsere Vorräte aufgefüllt.

Wie bereiten Sie sich auf die kommende Zeit vor, in der es womöglich noch viele Covid-19-Tote geben wird?

Wenn man die Sterbefallrate in Deutschland mit den Nachbarländern vergleicht, dann fällt die doch »geringe« Sterberate auf. Ich glaube, dies ist dem hervorragenden Gesundheitssystem in unserem Land zu verdanken und allen, die in diesem System arbeiten. Hoffentlich hat nun die Politik auch verstanden, dass es völlig falsch wäre, Krankenhäuser und Pflegeeinrichtungen weiter runterzusparen.

Viele Menschen könnten sich nicht vorstellen, Ihren Job zu machen. Erzählen Sie einmal: Wie lange sind Sie schon Bestatterin und wie sind Sie dazu gekommen?

Grabstein auf dem alten Friedhof in Ludwigsburg

Grabstein auf dem alten Friedhof in Ludwigsburg

Ich denke, ich habe einen der schönsten Berufe, die es gibt. Ich habe mich im September 2014 als Bestatterin selbstständig gemacht. Den Ausschlag gab die Beerdigung meiner Cousine, etwa ein Jahr zuvor. Damals dachte ich: Das muss auch anders gehen. Ich machte eine Ausbildung zur Freien Trauerrednerin, so rutsche ich eigentlich mehr oder weniger in diesen Beruf.

Heute sage ich, dass ich doch großes Glück habe. Beruflich das machen zu können, was einen mit Herz und Liebe ausfüllt, gelingt nicht jedem. Ich kann mir nicht vorstellen, jemals etwas anderes zu machen.

Welche Arten der Beerdigung werden aktuell bei Ihnen nachgefragt?

Natürlich ist die Urnenbeisetzung das, was am meisten gefragt wird. Vielleicht mag es dabei manchmal um die Kosten gehen, aber die Wahl fällt oft auf eine Urnenbeisetzung wegen der Regelung der anschließenden Grabpflege. Die Kinder wohnen nicht immer in der Nähe und wer macht das Grab, wenn es der Partner nicht mehr kann?

Was waren die ungewöhnlichsten Bestattungswünsche bisher?

Eine junge Frau starb wenige Tage vor ihrem Geburtstag an Krebs. Sie wollte keine Trauerfeier, sondern eine Geburtstagsfeier. So haben wir es dann auch gemacht. Es gab Sekt, es gab Geburtstagskuchen. Die Aussegnungshalle wurde umdekoriert. Die Stühle standen im Kreis und die Wände wurden mit großen farbigen Tüchern abgehängt.

Leider lassen nicht viele Gemeinden Spielraum für solche sehr persönlichen und individuellen Trauerfeiern.

Gibt es Aufträge, die Sie nicht annehmen?

Ja. Wir hatten mal einen Anruf, bei dem der Sohn meinte, er müsse seinen Vater nun entsorgen. Ich habe den jungen Mann höflich, aber bestimmt darauf hingewiesen, dass wir kein Entsorgungsbetrieb seien und er nach einem der Kollegen schauen sollte.

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Wenn einer stirbt, kommt plötzlich die ganze Familie zusammen. Müssen Sie dann auch mal Streit zwischen Familienmitgliedern schlichten?

Ja, immer mal wieder. Ich glaube, wenn jemand im Familienkreis stirbt, dann trifft es die Seelen der Angehörigen ungebremst. Alte Wunden brechen auf und manchmal auch viel Ungesagtes. Für mich ist wichtig, alle zu Wort kommen zu lassen, und wenn es nicht an einem Tisch geht, dann eben mit jedem einzeln.

Was ist das Schwierigste im Umgang mit Leichen? Ich kann mir vorstellen, dass es schwer ist, mit Gerüchen und Verwesung klarzukommen.

In der Tat. Wenn Verstorbene Wochen oder gar Monate liegen müssen, bis sie vermisst werden, berührt mich persönlich emotional sehr, wie einsam Menschen in unserer Gesellschaft doch sein können ... Aber eben auch die Gerüche sind dann eine Herausforderung.

Der Tod ist immer ein emotionales Thema. Was war Ihr beruflich emotionalster Moment?

Ein Familienvater stirbt und zwei seiner Söhne, 19 Jahre und 21 Jahre alt, spielen in einer Band. Zur Beisetzung spielten sie mit ihren Bandmitgliedern live »Tears in Heaven«, der eine Sohn spielte Gitarre, der andere sang. Das war Gänsehaut pur.

Gibt es Momente in Ihrem Beruf, in denen Sie sagen, das schaffe ich nicht?

Nein, das hatte ich eigentlich noch nie. Für alles gibt es Lösungen und für alles gibt es Möglichkeiten.

Haben Sie Ihre eigene Beerdigung schon geplant?

Insoweit, dass meine Angehörigen wissen, dass ich eingeäschert werden will.

Was ist die größte Belastung in Ihrem Beruf?

Wenn Eltern in das Grab ihrer Kinder schauen müssen. Dabei ist es beinah egal, ob ein Sternenkind, ein Baby, ein Teenager oder gar das Kind mit 50 Jahren bestattet wird.

Wenn Kinder vor den Eltern gehen, ist das immer die falsche Reihenfolge. Und auch der gewaltsame Tod ist eine enorme Herausforderung. Absolut sinnlos und überhaupt nicht nachvollziehbar.

Was ist schön an Ihrem Beruf?

Wenn die Angehörigen sich bei uns aufgehoben gefühlt haben. Wenn wir sie durch das tiefste Tal, durch das sie in ihrem Leben gehen müssen, begleiten können und sie am Ende sagen können, sie konnten sich fallenlassen, dann haben wir unsere Arbeit gut gemacht.

Ich freue mich immer, wenn Angehörige auch nach Jahren noch auf einen Kaffee im Büro vorbeikommen, von sich erzaählen und uns teilhaben lassen an allem, was sie berührt.

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Das Interview habe ich aufgrund der aktuellen Situation in schriftlicher Form geführt. Wenn ich sterbe, wünsche ich mir, dass meine Angehörigen bei einer so herzlichen Bestatterin wie Frau Junggeilges landen, die sich traut, mit alten Konventionen zu brechen. Über die Gestaltung einer Trauerfeier sagt sie nämlich: »Alles, was gut tut, ist auch erlaubt« und ermutigt die Menschen, ihre Verstorbenen so zu verabschieden, dass es zur Persönlichkeit der:des Toten passt.


 

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Bildquellen
Bestatterin Frau Junggeilges, ihr Team und ihr Büro: Junge Bestattungen GmbH
Bilder vom Alten Friedhof: Tabea Lerch