Theatersommer Ludwigsburg 2025
»Der Gott des Gemetzels« ist eine der Perlen des diesjährigen Theaterprogramms.
Ein göttliches
Gemetzel auf der Freilichtbühne
Der Theatersommer Ludwigsburg feiert sein 35-jähriges Jubiläum! Seit dem 25. Juni stehen zwölf Wochen originelles Schauspiel mit dem bisher größten Ensemble auf dem Programm. »Der Gott des Gemetzels« macht scheinbar Alltägliches zum einzigartigen Erlebnis. Wir haben eine der Proben besucht: Von fliegenden Taschen, schwäbischem Dialekt und der Kunst der Improvisation …
Glanz von oben: Zwischen Kulturzentrum Ludwigsburg und der Scala Gartenwirtschaft flattern silberne Bänder.
Wer kürzlich über den Rathaushof geschlendert ist, hat ihn vielleicht schon entdeckt, den neuen Eyecatcher in der Innenstadt! Die aktuellen Temperaturen lassen es gar nicht so abwegig erscheinen, doch was da im linken Augenwinkel verführerisch flackert, ist keine Fata Morgana. Holografisch schimmernde Streifen tanzen an Girlanden in der Sommerbrise und locken Schaulustige an der Scala Gartenwirtschaft vorbei in den Rosengarten. Denn wie jeder wahre Schatz ist der Theatersommer gar nicht so leicht zu entdecken.
Ludwigsburgs lauschigste TheaterOase
Gut behütet: Der Eingang zum Theatersommer über die Gartenwirtschaft.
Doch zum 35. Jubiläum darf sich die Freilichtbühne der Barockstadt auch mal einen silbernen Teppich leisten, lacht Geschäftsführerin Susanne Schmidt. Oder eben etwas in der Art. So oder so: Gewöhnlich ist hier nichts! Das wird schon klar, sobald man einen Fuß über die Eingangsschwelle setzt und sich inmitten einer geheimen grünen Oase wiederfindet.
Zwischen Haselsträuchern, lauschigen Bäumen und wucherndem Efeu führen verwunschene Wege zu drei Bühnen. Seit der Gründung des Theaters hat sich einiges getan – so gibt es seit 25 Jahren auch eine Bühne für das Familientheater und eine Rondellbühne für experimenteller Stücke.
Dabei wird die Kulisse den neuen Stücken auf den Leib geschneidert. Die Rondellbühne, die im letzten Jahr noch als buntes Schloss des »Neinhorn« fungiert hat, wurde für »Der Gott des Gemetzels« zur modernen Terrasse samt Fensterfront und Sitzgelegenheiten umgebaut.
»DIE BESONDERHEIT? DIE MODERNE HANDSCHRIFT.«
Christine Hofer und Susanne Schmidt teilen sich die Leitung des Theatersommers und bringen seit 2024 frischen Wind und neue Inspiration in den Rosengarten. Der Theatersommer ist ein Herzensprojekt, bei dem das Power-Duo nicht zögert, kurzerhand selbst mit anzupacken oder bei Proben einzuspringen. Vor allem aber wollen sie nationale und internationale Theaterkunst in all ihrer Vielfalt nach Ludwigsburg holen.
Dabei warten sie in diesem Jahr mit dem größten Ensemble in der Geschichte des Theaters und einer beeindruckenden Vielzahl hochkarätiger Regisseur:innen auf. Die Besonderheit des Programms? »Die moderne Handschrift«, betont Christine Hofer. Egal ob Neuerscheinung oder altbekannter Klassiker, auf den Bühnen im Grünen bekommt jedes Stück einen intelligenten und modernen Anstrich.
Im Rosengarten vergisst man, dass man sich mitten in der Stadt befindet …
… und lässt sich in der Abendsonne in andere Welten transportieren.
schwarzer humor – aber bitte auf schwäbisch!
Die vermeintlich sittsame Ruhe vor dem Sturm trügt. Und währt nur so lange, wie es noch von dem süßen Gebäck gibt.
»Der Gott des Gemetzels« ist da keine Ausnahme. Das französische Stück entspringt der Feder von Yasmina Reza und hat sich seit der Uraufführung zum Bühnenklassiker gemausert. So sehr, dass der eine oder die andere den Plot vielleicht aus Roman Polańskis gleichnamigen Film von 2011 kennt, für den Hollywood-Größen wie Jodie Foster, Kate Winslet und Christoph Waltz vor der Kamera standen. Kein Wunder also, dass Christine Hofer und Susanne Schmidt das Stück nun auch nach Ludwigsburg auf die Freilichtbühne geholt haben.
Das alltägliche gemetzel
Dafür braucht es gar keine sonderlich ungewöhnliche Ausgangssituation: Zwei gut situierte schwäbische Paare treffen sich aus einem unglücklichen Anlass auf der Terrasse eines Ludwigsburger Familienhauses. Bei einem handfesten Streit zwischen ihren Kindern hat einer der Söhne seine Schneidezähne eingebüßt. Dieses unvorteilhafte Debakel gilt es zu schlichten - ohne Partei zu ergreifen, versteht sich.
Doch die anfänglich bemühte Freundlichkeit bekommt schnell Risse, als die gepflegte Gesellschaft auf der Terrasse zunehmend aufgeheizter wird. Dass die Mutter des Täterkindes sich auch noch über die hochwertigen Kunstbände der Gastfamilie übergibt, schlägt dem Fass den Boden aus.
Schuldzuweisungen fliegen durch die Sommerluft, Beziehungsprobleme mischen sich mit dem Frust der täglichen Erziehungsarbeit und beruflichem Neid. So kommt unversehens ein ganzer Schwall privater Probleme ans Licht, in dem moralische Überlegenheit auf kindische Sturheit trifft, Hamster zu totgeglaubten Märtyrern der Pädagogik und der tatsächliche Anlass des Treffens zur Nebensache werden. Die Eskalation ist ebenso verzweifelt wie aberwitzig und löst eine kollektive Frage aus: Wie weit wird sie gehen?
Danach geht alles die Terrasse runter: Die einzigartigen Kunstbände sind ruiniert!
Jedes Paar hat seine Macken … Was es wohl hiermit auf sich hat?
Bis zum letzten Augenblick versuchen alle Beteiligten, die Fassade zu wahren.
„Peter Kleinert ist in diesem Jahr der älteste Regisseur mit der jüngsten Handschrift.“
Eine vorhersehbare Handlung?
Das hat sich auch Regisseur Peter Kleinert gedacht, der seit Mitte der 1970er-Jahre an großen Theatern in Deutschland tätig war und als Professor für Dramaturgie und Regie an nationalen und internationalen Universitäten gearbeitet hat. Deshalb war er zu Beginn gar nicht wirklich von dem Stück überzeugt. Die beeindruckend explosive Dynamik, die bei der Zusammenarbeit mit den Darsteller:innen entstanden ist, hat ihn und uns jedoch elegant vom Gegenteil überzeugt.
Peter Kleinert notiert während der Probe die letzten Anregungen.
Das liegt zum einen an der passgenauen Besetzung. Die gebürtige Stuttgarterin Diana Gantner hat von 2020 bis 2023 das Familientheater geleitet, in welchem ihre Kollegin Anja Barth auch in diesem Jahr zu sehen ist. In der Rolle der Mütter kontrastieren sie sich als resignierte Vermögensberaterin und kulturbegeisterte Autorin auf faszinierend unangenehme Art und Weise. Felician Hohnloser stand schon für den »Schwarzwald Tatort«, Markus Tomczyk für die »SOKO Stuttgart« vor der Kamera. Wenn sie sich als skrupelloser Rechtsanwalt und bodenständiger Verkäufer von Haushaltswaren über die Gartenbepflanzung in die Haare kriegen, kann man nur schwer an sich halten.
Im Laufe des Abends bilden sich immer wieder neue Allianzen.
In den Reihen vor der Rondellbühne wird hautnah mitgefiebert.
VON DER MAGIE DES FREILICHTTHEATERS UND DEM CHARME DES Regionalen
Vor allem aber genießen sie bei der Arbeit mit Peter Kleinert ganz viel künstlerischen Freiraum. »Ich habe bisher in keinem Stück so frei gespielt wie in diesem.«, betont Diana Gantner. Denn Schauspieler:innen müssen sich entfalten können, damit man gemeinsam die Struktur des Stückes entdecken kann, davon ist der Regisseur überzeugt.
Jede Szene ist für eine Überraschung gut.
Außerdem baut Peter Kleinert bei jeder Aufführung neue Improvisations-Szenen ein. Die Schauspieler:innen müssen dann spontan miteinander interagieren, was das Stück real wirken lässt und Raum für Situationskomik und ganz viele Bezüge zu Stadt und Region schafft. Der Tathergang fand auf der Bärenwiese statt, die läppischen Gartenpflanzen stammen plötzlich vom Mauk – kurz: Der Gott des Gemetzels hat Ludwigsburg fest im Griff.
War diese hier geplant oder ist es spontane Improvisation?
„Wir sind nicht Wirklichkeit, [aber] wir spielen mit der Wirklichkeit.“
Seine besondere Magie erhält das Stück allerdings auch durch die Location. Nach mehr als hundert Stücken inszeniert Peter Kleinert erstmals auf einer Freilichtbühne – und die ist eine wahre Superpower! Es gibt keinen typischen, abgedunkelten Theatersaal, bei dem der Vorhang das Vorgetragene vom Alltag abgrenzt. Wenn Handtaschen durch die Gegend fliegen und das Eichhörnchen, das in die Szene platzt, ebenso Teil der Handlung wird wie das Niesen im Publikum, ist man als Zuschauer:in Teil des Theaters.
Oder um es in den Worten des Regisseurs auszudrücken: »Wir sind nicht Wirklichkeit, [aber] wir spielen mit der Wirklichkeit.« Im Bann der Freilichtbühne fällt diese Unterscheidung zurecht immer schwerer.
Hol dir jetzt deine Tickets
Spielzeiten von »Der Gott des Gemetzels« in Ludwigsburg: diverse Termine bis zum 13. August 2025
Theaterkarten: Erwachsene 28 €, Menschen in Ausbildung und Menschen mit Behinderung 14 €
Gut zu wissen: Schnell sein lohnt sich! Die ersten Vorstellungen sind bereits ausgebucht, also schnapp dir einen der 90 Plätze vor der Rondellbühne!
warum du dir das stück ansehen solltest
Nach ein paar Gläsern Whiskey weiß niemand mehr, was als nächstes kommt — unvorhersehbare Yogaeinheiten inklusive.
Wer Lust auf eine besondere Theatererfahrung hat, tut gut daran, sich in diesem Theatersommer einen der exklusiven Plätze vor der Rondellbühne zu sichern. Da die Impro-Szenen tagtäglich variieren, wird man jedes Mal mit einer durch und durch einzigartigen Aufführung beschenkt.
Und was da auf der Bühne passiert, ist nicht nur für das Ensemble ein Experiment. Hier können wir uns mit Vergnügen ansehen, wovor wir normalerweise lieber die Augen verschließen: Konflikte, persönliche Macken, peinliche Fehltritte und aufgesetzte Reife. Die scheinbar banale Situation weicht einem immer weiter steigenden Spannungsbogen, die Sympathien des Publikums verschieben sich so schnell wie die Allianzen zwischen den Protagonist:innen.
Und spätestens wenn der Efeu vom Mauk dran glauben muss, fragt man sich, wie viele der unterschwelligen Konflikte und kindischen Reaktionen auch im eigenen Alltag brodeln. Das Gemetzel, so scheint es, ist hinter allen Fassaden nie weit entfernt. Die Inszenierung hält uns mit scharfen Dialogen und treffenden Beobachtungen den Spiegel vor. Vor allem aber zeigt sie uns, wie man dem »Gott des Gemetzels« eine herrliche Komik abgewinnen kann.
Und von der kann das leben bekanntlich nie genug haben, oder?
Der Gott des Gemetzels
Theatersommer-Fassung | Regie
Peter Kleinert
Darsteller:innen
Anja Barth
Diana Gantner
Felician Hohnloser
Markus Tomczyk
Bühnen- & Kostümbild
Dirk Seesemann
Bühnenbau
Ron Stelzmann
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Veröffentlichung: 27.06.2025
Text: Eva-Maria Dresen
Bilder: Deborah Schulze